| Jenseit des Tweed | 
  
   
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    Kapitel 17  | 
  
   
    Von Perth 
        bis Inverneß  | 
  
   
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          Um 
              von Perth nach Inverneß zu gelangen, kann man zwei Wege einschlagen, 
              den einen über Forfar, 
              Montrose 
              und Aberdeen 
              an der Küste entlang, den andern quer durchs Land hindurch 
              über den Kamm der Grampians. 
              Wer Eile hat oder die Bequemlichkeit liebt, wird den ersteren Weg 
              wählen, der, obschon ein Umweg von 10 deutschen Meilen, mittels 
              der eben 
              beendigten Eisenbahn in verhältnismäßig kurzer 
              Zeit zurückgelegt werden kann; wer umgekehrt eine Strapaze 
              nicht scheut, wenn sie nur Lohn und Ausbeute verspricht, wird das 
              Dach der Stage-Coach 
              erklettern, die zweimal wöchentlich zwischen Perth und Inverneß 
              fährt.   | 
         
         
             
            Scone-Palace, 
            der alte schottische Königssitz, von dem es am Schluß des 
            »Macbeth« 
            heißt: »Und 
              uns gekrönt zu sehn mit unsrer Krone, 
              Erwarten wir euch im Palast zu Scone«, 
            liegt kaum eine halbe Meile 
              rechts von dem chaussierten Wege ab, den unsere Braunen jetzt rasch 
              entlangtraben.  | 
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           Aber 
              der Scone-Palast, der zu Shakespeares 
              Tagen noch in aller Wirklichkeit dastand, existiert nicht mehr, 
              und die weißen Steinwände, die mit Mauerkrone und Normannenturm 
              aus einer Gruppe alter Ulmen zu uns herüber grüßen, 
              sind keine 50 Jahre alt und enthalten vielleicht keinen Stein mehr 
              von dem alten Königshause, das einst hier stand.  | 
         
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              Der Scone-Palast unserer 
                Tage ist ein Besitztum, ein Sommeraufenthalt der Grafen 
                von Mansfield geworden, und der 
                alte Stein, der hier einst lag und als Stuhl bei der Krönung 
                schottischer Könige diente, ist nach London geschafft, wo 
                er jetzt deutungsreich unter dem Sitz des englischen Thronsessels 
                liegt. 
                
                
                
              Moot 
                Hill mit Nachbildung des Stone 
                of Destiny. Kenneth 
                MacAlpin, erster schottischer König, brachte diesen Stein 
                irischen Ursprungs 838 an diesen Ort. 843 wurde er, wie in den 
                folgenden 450 Jahren alle weiteren Könige, darauf gekrönt. 
                1296 raubten die Engländer unter Edward 
                I. den Stein und installierten ihn in Westminster 
                Abbey. Exakt 700 Jahre später gab England den Stein, 
                der seitdem auf Edinburgh Castle liegt, an die Schotten zurück. 
                 
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           Die 
              nächste Station ist Dunkeld, 
              ein alter Bischofssitz, etwa drei Meilen nördlich von Perth 
              gelegen. Der breite, vom Tay 
              durchflossene Talgrund, der sich zwischen beiden Städten ausdehnt, 
              zählt mit zu den vorzüglichsten Schauplätzen schottischer 
              Geschichte. Wir sind hier im eigentlichen Macbeth-Land.  | 
         
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           Etwa 
              zwei Meilen nördlich von Scone-Palace, an derselben rechten 
              Seite des Weges, liegen Dunsinan-House und Dunsinan-Hill, in deren 
              Nähe sich die Ruinen des alten   
              Macbeth-Schlosses befinden, das den   
              Birnam-Wald auf sich zukommen sah. Dieser Birnam-Wald liegt links 
              von der Straße, verbirgt sich aber unserem suchenden Auge 
              hinter dem 1500 Fuß hohen Birnam-Hill, der seine Felsmauer 
              zwischen uns und den Wald schiebt.   | 
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           Dieser 
              Birnam-Hill 
              ist bereits wie ein Torwächter von Dunkeld anzusehen, und in 
              dem Augenblick, wo wir ihn passiert haben, hören wir auch schon 
              den lauter werdenden Hufschlag der Pferde, der uns sagt, daß 
              wir die elastische Tenne der Landstraße mit dem harten Straßenpflaster 
              der Stadt vertauscht haben. Von beiden Seiten grüßen 
              jetzt tausend Fuß hohe Bergwände in die Stadt hinein, 
              und ehe wir uns noch in dem reizenden Bilde völlig zurecht 
              gefunden haben, hält unsere Kutsche bereits vor dem ziemlich 
              in der Mitte des Städtchens gelegenen »Birnam-Hotel«.  | 
         
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          |   Die 
              Frage »absteigen oder sitzen bleiben« schlägt jetzt 
              an unser Ohr, aber drei Meilen sind erst gemacht und die engagierten 
              Körperhälften noch bei verhältnismäßiger 
              Kraft. So ergibt sich die Antwort von selbst. Kommt uns doch auch 
              die Höhe unseres Sitzes zustatten, um mit größerer 
              Muße und Leichtigkeit das reizende Bild dieser Talstadt überblicken 
              zu können.  | 
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           Aus 
              dem Grunde der Bergabhänge hervor grüßt die alte, 
              bis in die Piktenzeit zurückreichende Kathedrale.  | 
         
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           Etwa 
              eine deutsche Meile hinter Dunkeld verlieren wir den Tay aus dem 
              Auge, und statt seiner wird nunmehr der Garry-Fluß, 
              der von den Grampians kommt, auf viele Meilen hin unser Begleiter. 
              Seine Ufer sind nirgends lieblich, aber überall bedeutend und 
              charakteristisch und gleich zu Anfang von imposanter Schönheit.  | 
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               Ich stand (versteht 
                sich auf einem Fuße) aufrecht im Wagen, als wir den Paß 
                hinauffuhren. Das ganze Bild war so reizend, daß ich begierig 
                war, nichts von seiner Schönheit zu verlieren.  
                
                
                
              Durch 
                diese hohle Gasse ging es damals. 
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              Der Killiecrankie-Paß 
                ist imposanter als die Trossachs. Der Grund dafür scheint 
                mir darin zu liegen, daß die Felswände sich noch näher 
                und schroffer gegenüber stehen, daß der Garry, der 
                ganz den Charakter eines lauten und reißenden Bergwassers 
                hat, die romantische Szene mehr belebt als das unbedeutende Wässerchen, 
                das die Trossachs mehr durchschleicht als durchschäumt. 
                
              Soldier's 
                Leap 
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               Als wir fast den Nordausgang 
                des Passes erreicht hatten, legte der Kondukteur seine Hand auf 
                meine Schulter und rief, nach rechts hin nickend: »Look, 
                there's the battlefield«. Da lag es denn neben uns, nicht 
                größer als eine Gemeindewiese. An dieser Stelle fiel 
                der Sieger des Tages, William Graham, Herzog von Claverhouse und 
                Marquis von Dundee. Über diesen Sieg und die Person des Siegers 
                sei mir gestattet, hier folgendes einzuschalten. 
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          Unter 
              den Parteigängern, die nach der Entfernung Jakobs 
              II. (1688) die Sache der Stuarts zur ihrigen machten, steht 
              Graham von Claverhouse oder »bonnie Dundee« obenan. 
              Was Montrose 
              40 Jahre früher in den Tagen Karls 
              I. gewesen war, der Champion für Loyalität und Königtum 
              gegen Whiggistischen 
              Puritanismus, das war jetzt bonnie Dundee. Jetzt nach dem Sturze 
              des wenig geliebten Königs war er der erste, der die Hochlands-Clane 
              um sich sammelte und dem neuen Regiment in London den Krieg erklärte. 
              Der Sieg schwankte damals fünfzig Jahre lang zwischen den von 
              tödlichem Haß erfüllten Parteien, und die Häupter 
              beider fanden nur zu oft Gelegenheit, ihre Hingebung und Treue mit 
              dem Tode zu besiegeln; bonnie Dundee aber starb den Heldentod auf 
              dem Felde von Killiecrankie, in demselben Augenblick, als der Sieg 
              zugunsten seiner Sache entschieden war. Als er vorsprengte, um die 
              Fliehenden zu verfolgen, traf ihn eine Kugel in die Armhöhle 
              und tötete ihn auf der Stelle. Der Sieg, den er gewonnen, hörte 
              auf, ein Sieg zu sein. Die Whigs triumphierten; ihr bitterster Feind 
              war nicht mehr. Der Glaube an seine Unverletzlichkeit (wie sich 
              von selbst versteht, infolge eines Paktes mit dem Teufel) war damals 
              allgemein verbreitet im schottischen Volke. Es hieß, die Kugel, 
              die ihn getroffen, sei ein silberner Knopf gewesen, den einer seiner 
              Diener vom Rocke seines Herrn losgelöst und auf ihn abgeschossen 
              habe. Nur was von ihm selber kam, konnte an ihn. Das Gedächtnis 
              an seine Siege lebt noch bis diesen Augenblick im schottischen Volke 
              fort, und für allerhand bedenkliche Situationen, die einen 
              Helfer wünschenswert machen, existiert die sprichwörtliche 
              Redensart: »Nur eine halbe Stunde Dundee.«  | 
         
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               Kurze Zeit nachdem wir 
                die Nordspitze des Killiecrankie-Passes passiert hatten, erreichten 
                wir Blair 
                Atholl, ein Dorf mit etwa 300 Einwohnern, das nichtsdestoweniger 
                auf allen Karten mit großen Buchstaben verzeichnet ist. 
                Wir nähern uns nämlich jetzt dem großen Berg- 
                und Heideterritorium der Grampians, das von solcher absoluten 
                Öde und Kahlheit ist, daß das an seinem Südrande 
                gelegene Dörfchen Blair zu einer unbestrittenen Residenz 
                dieser Gegenden wird. Unter Blinden ist der Einäugige König. 
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              Zeichen menschlicher Kultur ersterben allmählich; kein Dorf 
              mehr, das wir passieren: die Grampian-Wüste. Ich habe nie Einsameres 
              durchschritten. Und doch machten wir die Fahrt zur guten Jahreszeit, 
              an einem heiteren Tage. Das Leben war über diese Gründe 
              wenigstens hingeflogen und hatte seinen Lichtstrahl auf sie fallen 
              lassen.   | 
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               Uns zur Linken schäumte 
                der Garry, rechts von den hohen Berglehnen sickerte das Schneewasser 
                herab, an den Wasserrinnen entlang leuchtete das Grün und 
                Rot des Heidekrauts. Wie muß es hier sein, wenn der Sommer 
                seine warme Hand von diesen Feldern nimmt und der Wind das schwache 
                Lebensflämmchen ausbläst, das hier still und geschäftig 
                wirkt?  
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          |   So 
              fragt' ich, und als ob die Grampians mich verstanden hätten, 
              gaben sie Antwort auf meine Frage. Wolken zogen über den Himmel 
              hin, und das warme Blau verwandelte sich in ein schwüles Grau, 
              der Garry hörte auf zu schäumen, Moos und Heidekraut verschwanden, 
              auch das Wasser schwieg, das von den Bergen gekommen war – 
              wir hatten den großen Friedhof dieser stillen Gegenden erreicht. 
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