| Jenseit des Tweed | 
  
   
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    Kapitel 6  | 
  
   
    High-Street 
        und Canongate  | 
  
   
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    1. Moray-House  | 
  
   
    
         
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              Moray-House 
                ist ungefähr 200 Jahre alt. Was dem alten Moray-House seine 
                eigentliche Bedeutung gibt, knüpft sich an den eisernen Balkon. 
              Die 
                puritanische Sache hatte triumphiert, die Königlichen 
                unter Montrose 
                waren geschlagen. Auf denselben Heiden, auf denen wenige Jahre 
                zuvor der siegreiche Montrose den puritanischen Grafen 
                von Argyle gejagt hatte, jagten jetzt die Leute Argyles den 
                umherirrenden Montrose. Es 
                war am 11. Mai 1650, als Archibald, ältester Sohn des Grafen 
                von Argyle, mit seiner Braut, der Tochter des Grafen von Moray, 
                zum Altare trat. Die ganze Stadt nahm teil an der Freude beider 
                Häuser, als die Nachricht durch die Stadt lief, Montrose 
                sei gefangen und werde eingebracht. Unter Hohn und Jubel ging 
                es Canongate hinauf. Ruhig, beinahe heiter blickte Montrose zu 
                den dichtbesetzten Balkonen auf; dem alten Argyle starb die Verwünschung 
                auf der Lippe, seine Lady aber bog sich weit hinaus über 
                die Brüstung und spie hinunter nach dem verhaßten Feind. 
              Fünfunddreißig 
                Jahre später kam wieder ein Zug die alte Straße von 
                Edinburg hinauf und nahm seinen Weg am Moray-House vorbei. Die 
                Royalisten hatten darauf bestanden, daß dieser Weg gewählt 
                werde und kein anderer. An der Spitze des Zuges, neben sich den 
                Mann mit dem Beil, schritt Archibald Graf von Argyle, derselbe, 
                dessen Hochzeitstag in einen Tag der Rache verkehrt worden war. 
                Sein Vater hatte längst vor ihm das Haupt auf den Block gelegt. 
                Moray-House aber steht da wie eine Mahnung gegen den Übermut 
                der Partei und als ein Erinnerungszeichen an den Wechsel ihrer 
                Siege. 
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              City-Croß und Old-Tolbooth 
                befanden sich mitten in High-Street und erhoben sich rechts und 
                links, an den beiden Ecken der Nordfront von St. 
                Giles. Old-Tolbooth war zu gleicher Zeit der nächste 
                Nachbar des Parlamentsgebäudes, 
                das sich noch diesen Augenblick im Rücken der alten Kirche 
                erhebt.  
              Zwischen diesen vier 
                Plätzen herrschte ein innerlicher Zusammenhang. Sie waren, 
                in den politischen Kämpfen des Landes, die rasch aufeinanderfolgenden 
                Stufen einer Leiter, der Leiter vom Leben zum Tod. Das Parlament 
                sprach und verurteilte, die alten Mauern der Tolbooth nahmen den 
                Verurteilten auf, und am Fuße des City-Kreuzes fiel wenig 
                Wochen später sein Haupt, um in den Familiengewölben 
                von St. Giles die letzte Ruhestatt zu finden. 
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              City-Croß bestand 
                aus einem Postament, das eine zwanzig Fuß hohe Säule 
                trug, die letztere wiederum mit einer Steinfigur geschmückt, 
                die das »schottische 
                Einhorn« darstellen sollte. Einhorn und Postament sind 
                zerstört. Das letztere galt seinerzeit als eine Kuriosität. 
                Es war ein achteckiger, abgestutzter, mit einer etwas vorspringenden 
                Brüstung gekrönter Turm. Es war eine Art Schaubühne, 
                auf der sich vor versammeltem Volk das öffentliche Leben 
                der Stadt und bei mehr als einer Gelegenheit das des ganzen Landes 
                abspielte. Hier erschienen die City-Herolde, um öffentliche 
                Erlasse und Anrufe zu verkünden, hier fielen die Häupter 
                Montroses und der beiden 
                Argyles, und hier endlich, unter dem Schwerterkreuzen seiner 
                Hochländer, 
                erschien Prinz 
                Charlie an der Brüstung, um von der Edinburger Bevölkerung 
                tausendstimmig begrüßt und zum Herrn des Landes ausgerufen 
                zu werden.  
                
              Das 
                ursprüngliche City Cross (oder Mercat Cross) aus dem 14. 
                Jahrhundert wurde im 18. Jahrhundert zerstört. Das heutige 
                Mercat Cross ist eine verkleinerte Replik aus dem Jahre 1885. 
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              Die Loyalität der 
                nordischen Hauptstadt schien während des vorigen Jahrhunderts 
                in London gerechten Bedenken zu unterliegen, und das schlechte 
                Gewissen des Edinburger Magistrats 
                trieb diesen dazu, die Geburtstage der beiden ersten George 
                mit ganz besondrem Pomp zu feiern. Eins dieser Gastmähler, 
                das auf der Plattform des City-Kreuzes stattfand, wurde durch 
                einen heftigen Gewitterschauer unterbrochen. Alles floh und suchte 
                Schutz. Als die halbdurchnäßten Magistrate zu ihren 
                Plätzen zurückkehrten, fanden sie natürlich Wasser 
                statt Wein in ihren Gläsern. Das war zu gut, als daß 
                der Witz der Jakobiten 
                nicht hätte davon profitieren sollen. Eine Stuartsche Dame 
                ließ am andern Tage folgende Verse zirkulieren: 
              Einstens zu Kana, 
                als bei Tisch 
                Sich's um den fehlenden Wein gehandelt, 
                Hat der König des Himmels frisch 
                Alles Wasser in Wein verwandelt. 
                Gestern, als zu Braunschweigs 
                Ehr 
                Zechten unsre City-Prasser, 
                Sprach der Himmel: »Nimmermehr!« 
                Wandelnd ihren Wein in Wasser. 
                
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           Einen 
              seiner berühmtesten Romane hat Walter 
              Scott nach dem alten Tolbooth-Gefängnis benannt, dem er 
              dabei seine populärere Bezeichnung ließ: Das 
              Herz von Midlothian. Die Grafschaft, in der Edinburg liegt, 
              heißt bekanntlich »Midlothian«, 
              das alte Tolbooth-Gefängnis ist aber keineswegs der Mittelpunkt 
              oder das Herz derselben. Vielleicht mahnt der Ausdruck an Zeiten, 
              wo Kerker und Schafott noch Haushaltsworte und nur allzuoft die 
              Achse, das Herz waren, um das sich das Leben drehte. Dieser alte 
              Bau, von dem jetzt, wie vom City-Croß, keine Spur mehr existiert, 
              stand bis zum Jahre 1817 mitten in High-Street und erschwerte, die 
              ganze Breite der Straße beinah einnehmend, die Kommunikation 
              aufs äußerste. Dies führte endlich zu seiner Abtragung. 
              Die Kommunikation, der man heutzutage so leicht geneigt ist, noch 
              größere Opfer zu bringen, hat dadurch gewonnen, das Malerische 
              des Platzes aber außerordentlich verloren.  | 
         
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    3. "Straßenfegen" 
        oder hie Douglas, hie Hamilton (12. April 1520)  | 
  
   
    
         
          Bei der 
              Minderjährigkeit des Königs (Jakob 
              V.) mußte heute noch entschieden werden: "Wer statt 
              seiner regieren solle?" Der Graf 
              von Arran und der Erzbischof 
              von Glasgow waren übereingekommen, sich die Regierung zu 
              teilen. Sie hatten aus dem Zweck ihren Anhang in die Stadt gezogen, 
              und aller Ecken und Enden standen die Hamiltons 
              und reizten durch ihre waffenklirrende Anmaßung die guten 
              Bürger von Edinburg. Graf 
              Angus, das Haupt der Douglas, 
              war nicht gewillt, die Partie verloren zu geben. Er war ein Douglas, 
              die Vormundschaft gebührte ihm. Graf Angus wollte sich vergewissern, 
              was die Hamiltons vorhätten.  
            Der Bischof 
              von Dunkeld 
              war Gawain 
              Douglas, ein Onkel des Angus. Dieser schritt dem Palaste seines 
              Kirchenfürsten zu und fragte den Erzbischof: "Erzbischof 
              Beaton, was habt Ihr vor?" - "Auf mein Gewissen", 
              erwiderte dieser, "ich weiß von nichts." 
              Dabei schlug er mit der Hand an die Brust, um seine Aussage zu bekräftigen. 
              Unter dem priesterlichen Kleide aber trug er einen Harnisch, den 
              er Kampfes wegen bereits angelegt hatte. Gawain Douglas verstand 
              den Klang und antwortete: "Euer Gewissen klingt hohl." 
              Er kehrte über die Straße zurück, wo Graf Angus 
              seiner wartete: "Du siehst, Angus, es gilt Kampf; raffe 
              zusammen, was du an Leuten hast, und vor allem sei rasch." 
               
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              In weniger als einer 
                halben Stunde standen die Douglas, fest gegliedert, eine kompakte 
                Masse, auf der High-Street von Edinburg zusammen und begannen 
                in voller Breite, die Straße zu fegen. Die Hamiltons, die 
                truppweis und ohne Führer an den Straßenecken umherstanden, 
                wurden leicht beiseite gedrückt und flohen zumeist nach Cowgate 
                hinein, wo Graf Arran und der Erzbischof eben den Haupttrupp der 
                Hamiltons ordneten, um ihrerseits zum Angriff überzugehen. 
                Wer High-Street hatte, war Sieger. Die Hamiltons waren noch immer 
                die Stärkeren, aber das Terrain war gegen sie. Die Straße 
                war nicht anders zu erreichen als die engen Gassen hinauf, die 
                stark bergan von Cowgate bis High-Street liefen. Bald hier, bald 
                dort drangen die Hamiltons aus diesen Gassen vor, aber immer nur 
                eine dünne Linie bildend, glichen sie einem vorgestreckten 
                Arm, der von den Douglas Mal für Mal ohne Mühe abgehauen 
                wurde. 
              Von dem 
                Tage an war die erschütterte und fast gebrochene Macht des 
                Hauses Douglas aufs neue gefestigt. Die Erinnerung an diesen Kampf 
                aber hat sich in Edinburg lebendig erhalten bis auf diesen Tag, 
                und jeder erzählt gern vom »Cleanse the Causeway« 
                oder dem Straßenfegen der Douglas. 
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